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† 29.12.1963 in Warschau
Staatsangehörigkeit bei Tod: Polnisch
Ort des Kampfes für Menschenrechte: Warschau, Bern
Bereich | Art | Von | Bis | Ort |
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Universität Lemberg | Studium der Geschichtswissenschaften | 1910 | Lemberg, Österreich-Ungarn | |
Universität Freiburg | Studium | Freiburg, Deutschland | ||
polnisches Außenministerium | Geschäftsführer der Presseabteilung | Warschau, Polen | ||
polnisches Außenministerium | Sekretär bei den Friedensverhandlungen zwischen Polen und der Sowjetunion | Riga, Lettland und Minsk, Belarus | ||
polnisches Außenministerium | polnischer Botschafter | 1923 | Riga, Lettland | |
polnisches Außenministerium | polnischer Konsul | 1926 | 1931 | München, Deutschland |
Hydro Nitro | Publizist und Berater | 1931 | ||
polnischer Chefdiplomat/ Chargé d’affaires ad interim | 1940 | 1945 | Bern, Schweiz | |
Polnische Unabhängigkeitsbewegung
Ort:Eintrittsgrund:
Funktion / Tätigkeit:
Polnische Bauernpartei PSL-Piast
Ort:Eintrittsgrund:
Funktion / Tätigkeit: Militärische Mobilmachung der polnischen Legionen in Galizien
Geltung der Rechte für alle Menschen in allen Ländern und Gebieten unabhängig von ihrer internationalen Stellung
Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit
Verbot der willkürlichen Verhaftung oder Ausweisung

EINLEITUNG
Als Diplomat während des Zweiten Weltkrieges in der Schweiz koordinierte Aleksander Ładoś zusammen mit anderen polnischen Gesandten in Kooperation mit jüdischen Organisationen eine großangelegte Passfälschungsaktion mittel- und südamerikanischer Reisedokumente. Diese wurden im von NS-Deutschland besetzten Europa verbreitet. Die Dokumente eröffneten für die Inhaber*innen Möglichkeiten sich vor dem totalen Zugriff durch das NS-System zu schützen.
DIE GESCHICHTE
Aleksander Wacław Ładoś / 1897-1958
Vor dem Zweiten Weltkrieg
Aleksander Wacław Ładoś wurde am 27. Dezember 1897 in Lemberg als Sohn eines Postbeamten geboren. Er engagierte sich bereits als Jugendlicher in der polnischen Unabhängigkeitsbewegung. 1910 begann er ein Studium der Geschichtswissenschaften an der Universität Lemberg. Noch vor dem Ersten Weltkrieg schloss er sich der polnischen Bauernpartei PSL-Piast an. Ładoś war an der militärischen Mobilmachung der polnischen Legionen in Galizien beteiligt, die gegen das zaristische Russland kämpfte. Aufgrund seines Engagements wurde er im September 1914 in Zakopane von Behörden Österreich-Ungarns verhaftet.
Nach der Entlassung aus der Haft gelangte er mit gefälschten Dokumenten in die Schweiz, lebte überwiegend in Lausanne, beendete sein Studium in Freiburg und arbeitete für die polnische Presseagentur.
1919 ging er nach Warschau in die nach dem Ersten Weltkrieg gegründete polnische Republik. Aufgrund seiner Kontakte und Netzwerke begann er für das polnische Außenministerium zu arbeiten. So war er in den ersten Nachkriegsjahren Bevollmächtigter bei den Volksabstimmungen in Spisz und Orawa, arbeitete als Geschäftsführer der Presseabteilung im Außenministerium und war als Sekretär an den Friedensverhandlungen zwischen Polen und der Sowjetunion in Riga und Minsk beteiligt. Bevor er 1923 mit der Unterstützung von Wincenty Witos als polnischer Botschafter nach Riga wechselte, arbeitete er für die politische Abteilung des Außenministeriums. Trotz seiner Kritik am Maiputsch 1926 wurde er zum polnischen Konsul in München ernannt, wo er hautnah den Aufstieg der Nationalsozialisten miterlebte. Auf Bestreben von Piłsudski-Anhängern im Außenministerium wurde Ładoś 1931 von seinem Posten abberufen. Er kehrte nach Warschau zurück und war sowohl publizistisch sowie als Berater der Schweizer Firma Hydro Nitro tätig.
Gesandter in Bern 1940-1945
Nach dem Überfall NS-Deutschlands auf Polen am 1. September 1939 gelang ihm die Flucht nach Frankreich. Dort schloss er sich der polnischen Exilregierung an, die zu diesem Zeitpunkt noch in Paris ihren Sitz hatte und 1940 nach London übersiedelte. Der Ministerpräsident Władysław Sikorski bot ihm einen Ministerposten ohne Geschäftsbereich an, den Ładoś dankend annahm. Die Exilregierung wurde von den neutralen Staaten während des Zweiten Weltkriegs als legitime Nachfolgerin der Zwischenkriegsregierung in Polen anerkannt. Selbst die Haltung mit NS-Deutschland verbündeter Staaten war in dieser Frage nicht eindeutig, was dazu führte, dass es auch nach der Zerstörung der polnischen Republik und während dem Krieg vereinzelt polnische Botschaften in Europa gab.
Im Frühjahr 1940 sollte Aleksander Ładoś als polnischer Chefdiplomat nach Bern berufen werden. Da deutsche Behörden den Druck auf die Schweiz erhöhten, verzögerte sich seine Berufung als Botschafter. Erst im April 1940 trat er die Stelle dann als Chargé d’affaires ad interim an.
Nach seiner Ankunft wurden im großen Umfang Hilfsaktionen für polnische Geflüchtete initiiert und bestehende Aktionen ausgeweitet. Seine zentrale Rolle bestand darin, als Vermittlungsinstanz zwischen dem besetzten Europa und der Exilregierung in London zu fungieren. Er setzte seinen diplomatischen Status offensiv ein, um durch diplomatische Interventionen die Situation von polnischen Geflüchteten in Europa zu verbessern und informierte die Exilregierung in London über die Situation auf dem Kontinent.
Bereits unter seinem Vorgänger Tytus Komarnicki sendete ein polnischer Radiosender aus der Botschaft. Diese Tätigkeit wurde unter Ładoś fortgeführt, um Geflüchtete in der Schweiz und Europa auf Polnisch über den Kriegsverlauf und die Situation im besetzten Europa zu informieren. Durch Interventionen von Ładoś gelang es zudem die Auslieferung polnisch-jüdischer Geflüchteter, die sich illegal in der Schweiz aufhielten, an das mit den Nazis kollaborierende Vichy-Regime im heutigen Südfrankreich zu verhindern. Neben dem Einsatz für polnische Geflüchtete in der Schweiz betreute er über 10.000 internierte polnische Soldaten der 2. Division der Infanterieschützen, die nach dem Überfall NS-Deutschlands auf Frankreich illegal die Grenze in die Eidgenossenschaft übertreten hatten.
Bereitwillig öffnete Ładoś die diplomatischen Kommunikationskanäle der Botschaft für jüdische Aktivist*innen und Organisationen, die so die Möglichkeit hatten, auch unter den Bedingungen des Zweiten Weltkrieges mit Organisationen in den USA, Großbritannien und Palästina zu kommunizieren. Dadurch konnten jüdische Hilfs- und Rettungsaktionen koordiniert und auch finanziert werden. So spielte die Botschaft eine wichtige Rolle bei der materiellen und finanziellen Unterstützung von jüdischen Geflüchteten in Shanghai. Über die Kommunikationskanäle gelangten aber auch wichtige Informationen über den Holocaust an die Westalliierten.
Große Beachtung muss man seiner Tätigkeit bei der Fälschungsaktion von mittel- und südamerikanischen Reisedokumenten und ihrer Distribution in Europa beimessen. Die sogenannte Ładoś-Gruppe unter Aleksander Ładoś bestand aus Mitarbeitern der polnischen Botschaft und Vertretern jüdischer Organisationen. Sie arbeiteten eng zusammen mit in Europa verzweigten Widerstandsnetzwerken. Laut Mordecai Paldiel, dem Leiter der Abteilung Gerechter unter den Völkern von Yad Vashem in den Jahren 1984-2007, handelt es sich wahrscheinlich um die bisher einzige Geschichte einer so engen Zusammenarbeit zwischen den polnischen Diplomaten und den jüdischen Aktivisten, um hunderte oder sogar tausende Jüdinnen und Juden vor dem Holocaust zu retten. Die Botschaftsmitarbeiter Stefan Ryniewicz und Konstanty Rokicki hatten Kontakte zu den diplomatischen Vertretungen von Paraguay, Honduras, Haiti und Peru aufgenommen und kauften illegal Blanko-Pässe, die sie mit Lebensdaten europäischer Jüdinnen und Juden ausfüllten. An die Daten gelangten sie über den polnisch-jüdischen Attaché der Botschaft Juliusz Kühl. Dieser hatte Kontakte zu Abraham Silberschein vom Jewish World Congress und dem orthodoxen Juden Chaim Eiss der Organisation Agudat Israel. Diese jüdischen Organisationen finanzierten ab 1942/1943 einerseits den Ankauf der Blanko-Pässe von korrupten Mitarbeitern der mittel- und südamerikanischen Botschaften, andererseits beschafften sie die Lebensdaten und Passfotos der Jüdinnen und Juden aus den europäischen Ghettos. Den Umweg über mittel- und südamerikanische Dokumente zu gehen, war nötig geworden, da deutsche Behörden keine Pässe der polnischen Republik mehr anerkannten. Die gefälschten Dokumente wurden an Mitglieder jüdischer Organisationen, aber auch über freundschaftliche und verwandtschaftliche Kreise verteilt. Zudem gelangten die Ausweise aus Bern auch auf den Schwarzmarkt, wo sie Jüdinnen und Juden für circa 300 Dollar kaufen konnten. Im Besitz eines solchen Passes zu sein, eröffnete für die Verfolgten Handlungsspielräume und ermöglichte in einigen Fällen Juden und Jüdinnen die Ghettos zu verlassen oder von Transportlisten in Vernichtungslager gestrichen zu werden.
Bevor die massenhaften Fälschungen 1944 eingestellt wurden, da deutsche Geheimdienste sie enttarnt hatten, hatte die Gruppe unter Ładoś bereits solche Dokumente für etwa 8.000-11.000 Jüdinnen und Juden produziert und einigen Verfolgten das Leben gerettet. Neben den koordinierenden Tätigkeiten von Ładoś bestand seine Rolle vor allen Dingen darin, durch diplomatische Interventionen die Aktivitäten der Gruppe geheim zu halten und sich dafür einzusetzen, dass die gefälschten Pässe offiziell anerkannt wurden.
Sowohl das Ausmaß als auch die enge Kooperation mit jüdischen Netzwerken und Aktivisten ist auch im Vergleich zu anderen diplomatischen Widerstandsaktionen im Zweiten Weltkrieg einzigartig. Besonders bemerkenswert ist auch, dass nicht nur polnische Jüdinnen und Juden solche Pässe erwerben konnten, sondern auch Menschen mit vormals deutscher und niederländischer Staatsbürgerschaft im Besitz solcher Dokumente waren. Im Laufe des Bestehens der Ładoś-Gruppe kristallisierte sich ihr Hauptziel heraus. Unter hohem Risiko versuchten sie europäische Jüdinnen und Juden unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit zu retten, was auch die Dokumente und Zeugenaussagen belegen. Dieser Entschluss und die Übernahme der Verantwortung für die Bürgerinnen und Bürger anderer Länder machten sie zu „Konsuln Europas“. Wegen unterschiedlicher Besatzungsbedingungen hatten dennoch deutsche und niederländische Jüdinnen und Juden höhere Überlebenschancen als die polnischen.
Nach dem Krieg
1945 nach dem Ende des Krieges schied Ładoś als polnischer Gesandter aus dem diplomatischen Dienst aus und lebte in Lausanne. Er war bis 1946 offizieller Vertreter der PSL (Polskie Stronnictwo Ludowe – Polnische Bauernpartei) unter Stanisław Mikołajczyk in der Schweiz. Nach der Errichtung der kommunistischen Diktatur in Polen lebte Ładoś in der Nähe von Paris und zog sich zunehmend aus der Öffentlichkeit zurück. 1960 kehrte er verarmt und krank nach Warschau in die Volksrepublik zurück, lebte bei seiner Schwester und verstarb am 29. Dezember 1963. Ładoś hinterließ drei unvollständige Bände an Memoiren. Aufgrund seines relativ frühen Ablebens fehlen die Passagen zu den Passfälschungen. Die anderen Akteure der Berner-Gruppe teilten ein ähnliches Schicksal. Alle verließen den diplomatischen Dienst und zogen sich aus der Öffentlichkeit zurück. Konstanty Rokicki blieb in der Schweiz, wo er jedoch keinen Anschluss finden konnte und die letzten Jahre in einem Armenhaus verbrachte. Am 18. Juli 1958 starb er und wurde auf einem Armenfriedhof in Luzern beigesetzt.
Erinnerung
Außerhalb von wissenschaftlichen Fachkreisen und unter den Bedingungen des so genannten Kalten Krieges blieb die Fälschungsaktion weitestgehend unbekannt. Wegen der Errichtung einer kommunistischen Diktatur in Polen nach dem zweiten Weltkrieg erfuhren Ładoś und seine Mitstreiter bis 1989 keinerlei öffentliche Würdigung von polnischer Seite. Erst in den letzten Jahren finden vermehrt Bemühungen statt, den Widerstand der Berner-Gruppe öffentlich zu erinnern. So wurden mehrere Ausstellungen und Dokumentarfilme zu dem Thema produziert und in der Schweiz und Polen gezeigt, 2018 feierlich eine Gedenkplakette in Bern eingeweiht und 2019 wurde ein Mitglied der Ładoś-Gruppe, Konstanty Rokicki, von Yad-Vashem mit dem Titel
Gerechter unter den Völkern
ausgezeichnet. Diese Ehrungen des Widerstandes um Ładoś gingen auch mit einer Intensivierung von wissenschaftlichen Aktivitäten einher. In einem groß angelegten und andauernden internationalem Archivprojekt unter der Leitung des Pilecki-Instituts gelang es bis jetzt über 3.000 der Passinhaber*innen namentlich zu identifizieren.
Quellen- und Literatur
Danuta Drywa: Poselstwo RP w Bernie. Przemilczana historia, Warszawa/ Oświęcim 2020.
Nathan Eck: The Rescue of Jews With the Aid of Passports and Citizenship Papers of Latin American States, in: Yad Vashem Studies 1 (1957), S. 125-152.
Agnieszka Haska: „Proszę Pana Ministra o energiczną interwencję”. Aleksander Ładoś (1891–1963) i ratowanie Żydów przez Poselstwo RP w Bernie, in: Zagłada Żydów. Studia i Materiały 11 (2015), S. 299-309.
Jakub Kumoch (Hrsg.) unter Mitarbeit von Monika Maniewska, Jędrzej Uszyński, Bartłomiej Zygmunt: The Ładoś List. An index of people to whom the Polish Legation and Jewish organizations in Switzerland issued Latin American passports during the Second World War, Warszawa 2020.
Mordecai Paldiel: Heroic Poles of the time of war, in: Wszystko co najważniejsze, https://wszystkoconajwazniejsze.pl/mordecai-paldiel-heroes-of-a-special-kind/
Pilecki Institut (Hrsg.), Reisepässe des Lebens; ein dreisprachiges (De, Pl, En) Webportal zu den Aktivitäten der Berner-Gruppe um Ładoś mit einem starken Fokus auf den Passinhaber*innen, inklusive einer Datenbank mit allen bis jetzt Bekannten Passinhaber*innen, URL: http://reisepassedeslebens.pl/ [Stand: 21.07.2021].
Abbildungen
Headerbild / Grabstein:By Mateusz Opasiński – Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=88738469
Autor
Cornelius de Fallois
Kontakt: info@fritz-bauer-forum.de