02.05.2024
Im April haben wir uns mit dem Genozid in Ruanda 1994 und erneut mit den Möglichkeiten jüdisch-palästinensischer Zusammenarbeit nach dem 7. Oktober 2023 und dem Angriff der Hamas auf Israel beschäftigt. Außerdem haben wir uns mit der Privatisierung von Wasser in Chile seit der Militärdiktatur auseinandergesetzt und eine Baustellenführung gab es auch – die letzte vor dem Richtfest am 23. Mai 2024.
Jüdisch-palästinensiche Zusammenarbeit nach dem 7. Oktober 2023

Maja Sojref in der Fritz Bauer Bibliothek © FRITZ BAUER FORUM | BUXUS STIFTUNG, Fotograf: Richard Lensit
Im Rahmen unserer Reihe „We need, need, need to talk“ und den Mittwochsgesprächen begrüßten wir am 10. April Maja Sojref, die Geschäftsführerin des New Israel Fund Deutschland e.V., in der Fritz Bauer Bibliothek. Sie berichtete von der Arbeit des Vereins, der jüdisch-palästinensische Zusammenarbeit fördert. Live zugeschaltet aus Israel war Raghad Jaraisy, Ko-Direktorin der Organisation Sikkuy-Aufoq, die von den konkreten Herausforderungen der Arbeit vor Ort erzählte. In einer spannenden Diskussion wurde deutlich, wie wichtig es ist, hier in Deutschland über solche Beispiele jüdisch-palästinensischer Zusammenarbeit zu sprechen, um Debatten zu entpolarisieren und uns für Multiperspektivität einsetzen zu können, ohne die die Komplexität der Erzählungen und der historische Kontext verloren gehen. In den Gesprächen wurde deutlich, wie wenig über dieses Engagement der Zivilgesellschaft hier in Deutschland bekannt ist.
Baustellenführung und Baufortschritt
Am 17. April gab es wieder eine Baustellenführung auf dem Gelände des künftigen Fritz Bauer Forums. Diesmal waren es neun BesucherInnen, denen Jennifer Haas den Ort, seine Geschichte und die zukünftige Nutzung durch uns vorstellte. Mittlerweile lässt sich deutlich erkennen, wie das Fritz Bauer Forum in Zukunft aussehen wird. Ein Großteil der Außenwände steht bereits und es ist auch zu erkennen, wo wir in Zukunft mit Ihnen und Euch arbeiten und neue Veranstaltungsformate erleben werden. Die letzten Baustellenführungen vor der Eröffnung werden im Oktober diesen Jahres stattfinden.
Veranstaltungen zum Völkermord in Ruanda 1994
In Kooperation mit der Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum e.V. (MFH) setzten wir intensiv mit dem Genozid in Ruanda 1994 auseinander, in dessen Verlauf circa 1 Millionen Menschen ermordet wurden. Zwischen Anfang April bis Mitte Juli 1994, in nur hundert Tagen, ermordeten Angehörige der Hutu-Mehrheit Mitglieder der Tutsi-Minderheit. Doch wie lässt sich ein solches Verbrechen gesellschaftlich aufarbeiten?

Dr. Gerd Hankel in der Fritz Bauer Bibliothek © FRITZ BAUER FORUM | BUXUS STIFTUNG
Am 11. April sprach der Jurist und Völkerrechtler Dr. Gerd Hankel über die Vorgeschichte, den Verlauf sowie die Folgen der Ereignisse zwischen April und Juli 1994. In seinem Vortrag befasste sich G. Hankel, der erstmalig 2002 in Ruanda war, mit der Frage, ob es nach einem Völkermord eine Gerechtigkeit geben kann, die heilt, und wann eine Gesellschaft als versöhnt betrachtet werden kann. Hankel beschrieb die Bedeutung des internationalen Strafgerichtshof für Ruanda (ICTR), der ein wichtiges, wenn auch nur symbolisches Zeichen setzte. Die Bedürfnisse der ruandischen Bevölkerung nach der Verfolgung von Tätern konnte der Strafgerichtshof aber nicht befriedigen. Dies offenbart zugleich ein weiteres Problem, nicht nur zeigte der Genozid die großen sozialen und politischen Probleme im Land, er zerstörte auch zu gleich die Institutionen, die ihn hätten aufarbeiten können. Eine Lösung fand Ruanda in den traditionellen Gacaca-Gerichten, die ihren Ursprung in den Dorfstrukturen Ruandas haben. Über 10.000 solcher Gacaca-Gerichte tagten und teilten die Täter in Kategorien der Schwere der Schuld ein. Das Ziel: ein neues Ruanda aufzubauen und den sozialen Frieden wiederherzustellen. In seiner intensiven Beschäftigung machte Hankel aber auch zwei Tabus aus, die den Genozid und seine Aufarbeitung betreffen. Zum einen wird über die Beteilung der Ruandischen Patriotischen Front (die heutige Regierungspartei) an der Entstehung der genozidalen Stimmung in Ruanda 1994 geschwiegen. Zum anderen wird oft verschwiegen, so Hankel, dass es auch Hutu gab, die sich nicht am Völkermord beteiligt haben und dafür getötet wurden. Mit seiner Kritik machte Gerd Hankel darauf aufmerksam, wie wichtig eine schonungslose Aufarbeitung für die Gesellschaft nach einem solchen Verbrechen ist.

Dr. Esther Mujawayo-Keiner und Magdalena Köhler beim Gespräch im Fritz Bauer Forum © FRITZ BAUER FORUM | BUXUS STIFTUNG
Doch wie stellt sich diese Aufarbeitung aus der Sicht einer Überlebenden dar und welche Rolle spielt dabei die Justiz? Und wie ging die ruandische Gesellschaft mit Tätern und Überlebenden um? Antworten auf diese Fragen gab die Trauma-Therapeutin und Überlebende des Genozids Dr. Esther Mujawayo-Keiner am 18. April im Rahmen eines Vortrags.
Sie sprach davon, wie es ist, sich als Überlebende eines Genozids ein neues Leben aufzubauen, denn zunächst fühlte sie sich „zum Leben verdammt“. Ihre Arbeit und die Gemeinschaft mit anderen Überlebenden halfen ihr dabei, wieder Vertrauen in andere Menschen aufzubauen und sich auf das zu besinnen, was ihr geblieben war. Eine wichtige Rolle spielte dabei auch die Organisation AVEGA, die sie mitgründete und die sich vor allem um die Frauen kümmerte, die ihr Leben nach dem Genozid komplett neu aufbauen mussten. In der anschließenden Diskussion betonte Esther Mujawayo-Keiner, dass es immer auch Widerstand gibt und dass die strafrechtliche Aufarbeitung des Völkermords eine wichtige Rolle spielte und immer noch spielt, auch wenn es viel wichtige und richtige Kritik an der strafrechtlichen Verfolgung der Täter des Genozids gibt. Von der Bedeutung von Widerstand spricht Esther Mujawayo-Keiner auch in dem Interview, das wir 2022 mit ihr führen konnten und das Sie hier finden können. Den Vortrag von Esther Mujwayo-Keiner finden Sie in Kürze auf unserem YouTube-Kanal.

Gudrun und Otto Honke in der Fritz Bauer Bibliothek © FRITZ BAUER FORUM | BUXUS STIFTUNG
Welche Bedeutung die koloniale Vergangenheit für den Genozid sowie für die deutsch-ruandischen Beziehungen hat, erläuterten Gudrun und Otto Honke am 25. April im Rahmen ihrer Projektvorstellung: „Ruanda als deutsche Kolonie – Fotoausstellung“. In Zusammenarbeit mit ruandischen Historiker*innen entstand hier ein Konzept für eine Fotoausstellung die, in abgewandelter Form, im Kandt-Haus, dem historischen Museum der ruandischen Hauptstadt Kigali, zahlreiche Besucher*innen anzieht. Hier werden diverse Fotos von Menschen aus Ruanda während der deutschen Kolonialherrschaft gezeigt, mit dem großen Unterschied, dass Fotos ausgewählt wurden, welche die Menschen in Würde zeigen. Dem gegenüber stehen die Fotos aus dieser Zeit, die Sie und ihr sicherlich kennen werdet und die meist rassistische Motive und Konstellationen zeigen. Ähnlich wie die schriftlichen Quellen offenbaren diese, dass sie von Weißen für Weiße über Nicht-Weiße berichten, daher finden sich nur sehr selten würdevoll porträtierende Bilder und Texte. Dem zugrunde liegen, wie in anderen Beispielen aus der Kolonialzeit auch, die rassistischen Annahmen der Zeit wie die Hamitentheorie, ein pseudowissenschaftlicher Versuch einer Hierarchisierung von Menschen aus Basis ihrer angenommenen biblischen Abstammung.
Das Menschenrecht auf Wasser: eine Illusion in Chile?

René Vergara während des Vortrags in der Fritz Bauer Bibliothek © FRITZ BAUER FORUM | BUXUS STIFTUNG
René Vergara von der chilenischen Organisation MODATIMA, der „Bewegung zur Verteidigung des Zugangs zu Wasser, der Erde und des Umweltschutzes“, sprach am 29. April in der Fritz Bauer Bibliothek zum Recht auf Zugang zu Wasser und die aktuelle Lage diesbezüglich in Chile. Am Beispiel der Monokultur des großflächigen Avocado-Anbaus, dessen ohnehin verheerende Folgen durch den Klimawandel verschärft werden, zeigte R. Vergara die erschreckenden Wasserprobleme in Chile auf, die nach dem gescheiterten Verfassungsprozess noch akuter geworden sind. Der Zugang zu Wasser und dessen Bewirtschaftung sind in Chile in privater Hand und in der Bevölkerung auf dem Land müsste dringend ei Bewusstsein für die ökologische Problematik geweckt und gefestigt werden, um den Protest gegen die Ausbeutung der lebenswichtigen Ressource Wasser und für das Menschenrecht auf Wasser zu bestärken.
Neben vielen Informationen und Einblicken in die chilenische Gesellschaft gab es auch eine musikalische Untermalung des Abends, Rodrigo und Lorenzo Tobar spielten wunderbare chilenische Musik.
Kommende Veranstaltungen
05. Mai, 11.00 – 17.00 Uhr: Rad Schnitzeljagd, Tag der offenen Tür der Bochumer Initiativen. Weitere Infos hier.
07. Mai, 18.00 – 19.30 Uhr: Nora Hespers: Mein Opa, sein Widerstand gegen die Nazis und ich. Weitere Infos hier.
13. Mai, 18.00 – 19.30 Uhr: Dr. Dietmar Köster und Uta Zapf: Europa zwischen Atomwaffenverbotsvertrag und atomarer Aufrüstung. Weitere Infos hier.
23. Mai, Nachmittags Richtfest und ab 19.30 sind die Bochumer Symphoniker zu Gast in der Fritz Bauer Bibliothek. Weitere Infos hier.
27. Mai, 17.00 – 18.30 Uhr: Buchclub: Nora Hespers: Mein Opa, sein Widerstand gegen die Nazis und ich. Weitere Infos hier.
28. Mai, 18.00 – 19.30 Uhr: Roland Vossebrecker: Der Aufstand des jüdischen Sonderkommandos von Auschwitz-Birkenau. Weitere Infos hier.
31. Mai, 18.00 – 19.30 Uhr: Jamie Raskin: Das Undenkbare- Kampf um die amerikanische Demokratie. Weitere Infos hier.