23.06.2024
Die Fußball-WM 1978 in Argentinien
Sportgroßveranstaltungen wie die Fußball-Weltmeisterschaften sind die wohl größtmögliche Bühne überhaupt, auf denen Staatschefs ihren eigenen Landsleuten und der gesamten Weltöffentlichkeit die scheinbare Überlegenheit ihres Systems in einem vermeintlich unverfänglichen, geradezu spielerischen Rahmen zur Schau stellen können. Die historische Forschung hat sich im Kontext der Diktatur- und Propagandaforschung bis auf wenige Ausnahmen jedoch bislang kaum mit diesem Thema auseinandergesetzt.[1] Dabei verspricht gerade die Beschäftigung mit dem Sport als größter globaler Massenkultur des 20. Jahrhunderts in diesen Zusammenhängen die Freilegung neuer und bislang ungewohnter Perspektiven.
Diese sollen an dieser Stelle am Beispiel der Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien herausgearbeitet werden. Diesem Turnier kommt im Kontext der hier relevanten Fragestellungen gleich in mehrfacher Hinsicht eine besondere Rolle zu: Zum einen wurde seit den Olympischen Spielen in Berlin 1936 keine sportliche Großveranstaltung mehr so unmittelbar, unverblümt und umfassend propagandistisch ausgeschlachtet wie hier. Auf der anderen Seite finden sich hier aber auch erstmals neue Ansätze einer Gegenbewegung aus den Reihen der Zivilgesellschaft, die nunmehr ebenfalls die Bühne der Weltmeisterschaften für ihre Zwecke entdeckte und auszunutzen begann.
Die WM 1978 soll im Folgenden schwerpunktmäßig unter den folgenden drei Perspektiven untersucht werden:
1.) Auf welche Weise nutzte das Militärregime in Argentinien das Turnier für seine Zwecke aus und welchen Erfolg hatte es damit?
2.) Wie reagierte die deutsche Öffentlichkeit auf die geplante Ausrichtung des Turniers und welche Gruppen sind hierbei zu unterscheiden?
3.) Wie verhielt sich der Deutsche Fußball-Bund in dieser Frage und konnte er hierbei irgendwelche eigenen Akzente setzen?
Vor dem besonderen Hintergrund der Helmstedter Universitätstage, die über einen rein historisch-wissenschaftlichen Blickwinkel hinaus immer auch einen Bezug auf gesellschaftspolitische Diskurse der Gegenwart herstellen, soll an dieser Stelle außerdem in einer abschließenden Betrachtung der Blick auf aktuelle Debatten rund um die Austragung von Sportgroßveranstaltungen erweitert werden. Dabei soll zumindest querschnittsartig aufgerissen werden, welche Erkenntnisse sich aus den Ereignissen vor 45 Jahren für den heutigen Umgang mit Diktaturen im internationalen Sport mitnehmen lassen.
Historischer Hintergrund
Die Fußball-Weltmeisterschaft des Jahres 1978 war bereits stolze 12 Jahre zuvor nach Argentinien vergeben worden. Auf dem 35. Kongress des Fußball-Weltverbandes FIFA am 6. Juli 1966 in London, unmittelbar vor Beginn der Weltmeisterschaft in England, war es innerhalb der FIFA zur grundsätzlichen Übereinkunft gekommen, das Turnier in den kommenden Ausgaben immer zwischen dem europäischen und lateinamerikanischen Kontinent rotieren zu lassen.
Dabei galt Argentinien, das bei der Wahl zur Austragungsort des Turniers im Jahr 1962 noch überraschend deutlich mit 32:10-Stimmen gegen Chile gescheitert war, innerhalb des Verbandes nunmehr als der „fast logische Austragungsort“. Es war die letzte verbliebene Fußball-Großmacht auf dem Kontinent, die bis dahin die Spiele noch nicht zuerkannt bekommen hatte.[2]
Nur wenige Wochen nach dieser Entscheidung wurde der demokratisch gewählte Präsident Arturo Umberto Illa in einem Militärputsch durch den General Juan Carlos Onganía von der Macht verdrängt. In den folgenden Jahren geriet Argentinien in einen Strudel immer stärkerer politischer und ökonomischer Krisen. Innenpolitische Grabenkämpfe und eskalierender Terrorismus von links- wie rechtsextremistischen Organisationen führten zu starken gesellschaftlichen Spannungen und großen ökonomischen Unsicherheiten.[3] Im Land selbst wurden vor diesem Hintergrund lange zunächst keine gezielten Anstrengungen zur umfassenden organisatorischen Vorbereitung des Turniers in Angriff genommen.
Erst 1973 gründete sich nach der Machtübernahme des kurz zuvor aus dem Exil zurückgekehrten und demokratisch gewählten Juan Peron ein erstes Komitee zur Vorbereitung der Spiele. Als das Land dann aber nur wenige Monate später nach dem Tod Perons erneut in tiefe innenpolitische Krisen abdriftete, stagnierten angeblich die WM-Vorbereitungen[4] und wurde innerhalb der FIFA laut über eine Verlegung des Turniers nachgedacht. Innerhalb des europäischen Fußballverbandes UEFA wurde bereits eine kombinierte niederländisch-belgische Bewerbung lanciert, die kurzfristig für Argentinien einspringen sollte.[5]
Hier brachte ausgerechnet der erneute Putsch dreier Militärgeneräle am 24. März 1976 die grundlegende Veränderung: Unter ihrem Anführer, dem neuen Präsidenten Jorge Videla, wurde dem Fußball sofort eine immense Bedeutung beigemessen. Dies zeigte sich bereits am Tag der Machtübernahme, an dem das Regime die öffentlichen Radiostationen besetzte und das gesamte bisherige Programm stoppen ließ – bis auf eine Ausnahme: Das Länderspiel der argentinischen Nationalmannschaft in Polen wurde wie ursprünglich geplant live übertragen.[6]
In diesem Kontext wurde von nun an auch der Durchführung der Weltmeisterschaft die größte Aufmerksamkeit zuteil und eine enorme politische Bedeutung beigemessen: Das Turnier sollte Argentinien nach innen befrieden und dem Land in der ganzen Welt neue Anerkennung verschaffen.[7] Dafür wurde unter der Führung der Militärs ein neues Organisationskomitee, das Ente Autárquico Mundial`78, gebildet. Durch dieses Komitee wurden in den folgenden Jahren geschätzte 700 Millionen Dollar – dies waren unglaubliche 10% (!) des gesamten nationalen Staatsetats und dreimal so viel Geld wie der nächste WM-Gastgeber Spanien ausgab – in den Ausbau der Stadien und der Infrastruktur gepumpt.[8]
Darüber hinaus wurde für viele weitere Millionen Dollar eine New Yorker PR-Agentur damit beauftragt, dem Regime gute Presse in aller Welt zu verschaffen.[9] Zum selben Zeitpunkt wurden scharfe Zensurgesetze gegen die Zeitungen im eigenen Land verhängt, um kritische Stimmen mundtot zu machen.[10] Der Fußball sollte das Regime, kurz gesagt, auf nationaler wie internationaler Bühne weiß waschen.
Was die Militärregierung zunächst als einen Kampf gegen linksterroristische Extremisten angekündigt hatte, verwandelte sich bereits nach kurzer Zeit in einen erbarmungslosen Kampf gegen alle Gruppen, die nicht auf Linie des Militärs waren: Bis zu 30.000 Menschen wurden in diesen Jahren ohne jede rechtsstaatliche Grundlage verhaftet, gefoltert und vielfach getötet. Sie sind unter dem Titel „Desaparecidos“ (die Verschwundenen) in die lateinamerikanische Geschichte eingegangen, da sich ihr Lebensschicksal vielfach bis zum heutigen Tag nicht mehr einwandfrei nachweisen lässt. Unter diesen Menschen waren u.a. Gewerkschafter, die um Lohnerhöhungen kämpften, Journalisten, die nicht mit der Diktatur sympathisierten oder Priester und Nonnen, die sich in Elendsvierteln engagierten. Das eigentliche Ziel war eine völlige Umpolung der gesamten argentinischen Gesellschaft mit brutalen, militärischen Mitteln.[11]
In der Bundesrepublik fanden diese Repressionen zunächst wenig bis keine Aufmerksamkeit. Anders als nach dem Putsch des Generals Augusto Pinochet im benachbarten Chile drei Jahre zuvor führte die Machtübernahme des Militärs in (West-)Deutschland zunächst zu keinen größeren öffentlichen Solidarisierungsaktionen, schon gar nicht zu öffentlichen Resolutionen oder Protestnoten der Bundesregierung.[12]
Die sozialliberale Regierung unter Helmut Schmidt befand sich zu diesem Zeitpunkt mitten im Zentrum ihres Abwehrkampfes gegen die Rote Armee Fraktion, deren Anschläge die bundesdeutsche Gesellschaft bis ins Mark erschütterten. Die Regierung war der Überzeugung, dass es sich bei diesem Terror um global agierende Gruppen handelte, die nur mit einer weitreichenden internationalen Zusammenarbeit bekämpft werden könnten.[13] Daher glaubte sie auch mit Regimen wie in Argentinien zusammenarbeiten zu müssen, um den Terror effektiv bekämpfen zu können. Für diesen Zweck wurden, auch von einer sozialliberalen Regierung, rechtsstaatliche Prinzipien und Fragen der Menschenrechte bei Seite geschoben und außer Kraft gesetzt.
Elisabeth Käsemann und die WM 1978
Erstmals offen zu Tage trat dies im Frühjahr 1977 im Fall der deutschen Studentin Elisabeth Käsemann. Die Tochter des renommierten Tübinger Theologieprofessors Ernst Käsemann war 1968 im Umfeld von Rudi Dutschke aktiv gewesen und wenige Jahre später nach Argentinien ausgewandert, um sich in linken Sozialprojekten zu engagieren. Nach der Machtübernahme Videlas geriet damit auch sie unter Generalverdacht, wurde verhaftet und misshandelt. Die deutsche Regierung erfuhr frühzeitig von ihrer Inhaftierung und Folterung. Dennoch verzichtete man auf öffentlichen oder auch nur nachhaltigen informellen Einsatz für die eigene Staatsbürgerin, weil man sie fälschlicherweise für eine Terroristin hielt.[14]
Dabei besaß Bonn in diesem Zusammenhang eigentlich einen „besonderen Trumpf in seiner Hand“, wie der damalige Staatssekretär im Innenministerium Gerhart Baum in einer ARD-Dokumentation über den Fall Käsemann im Jahr 2014[15] offen bekannte: Der amtierende Weltmeister Deutschland war im Juni 1977 – ein Jahr vor WM-Beginn – zu einem Testspiel nach Buenos Aires eingeladen worden. Inmitten „einer Hysterie unseres Rechtsstaates“, wie Gerhart Baum in besagter Doku erklärte, war dabei nicht nur jede öffentliche Stellungnahme für Frau Käsemann unterlassen worden.
Vielmehr wurde sogar noch der Zeitpunkt der Veröffentlichung ihres Todes in Polizeigewahrsam – sie war zu Tode gefoltert worden, wie wir heute wissen – solange herausgezögert, bis die deutsche Elf ihr Spiel erfolgreich 3:1 gewonnen hatte und wieder zurück nach Europa gekehrt war. Es besteht aus heutiger Sicht weitgehender Konsens darüber, dass wahrscheinlich schon ein simpler Anruf mit der Drohung einer Absage des Spiels genügt hätte, um Frau Käsemann aus den Fängen der Junta zu befreien. Dafür war dieses Spiel als WM-Generalprobe und Ausblick auf das bevorstehende Turnier viel zu wichtig für das Regime.[16]
Amnesty International und die WM 1978
In West-Deutschland löste die Bekanntmachung der Ermordung Elisabeth Käsemanns im Sommer 1977 größere öffentliche Bestürzung aus und lenkte erstmals den Fokus auf die immer brutalere Politik des Regimes. Von nun begann sich auch Amnesty International in Deutschland mit einer umfassenden Kampagne für den Einsatz von Menschenrechten im WM-Land einzusetzen. Die Organisation, die 1977 auch mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, war bis zu diesem Zeitpunkt vornehmlich im angelsächsischen Raum aktiv gewesen.[17] Die Weltmeisterschaft sollte der Organisation nun auch zu mehr Aufmerksamkeit im fußballverrückten Deutschland verhelfen und erstmals einen größeren Querschnitt der bundesdeutschen Gesellschaft mit den Zielen der Bewegung in Verbindung bringen.[18]
Mitte 1977 startete Amnesty seine groß angelegte und international vernetzte Kampagne „Fußball ja, Folter nein“. Erklärtes Ziel dieser Aktion war kein Boykott, sondern eine umfassende Sensibilisierung der westlichen Öffentlichkeit im Umfeld des Turniers. So wurden Spieler und Journalisten, die nach Argentinien reisen würden, dazu ermuntert, vor Ort explizit und öffentlich über die politischen Missstände im Land zu sprechen.[19]
In dieser Kampagne nutzte die Organisation modernste Methoden des damaligen Marketings: Neben öffentlichen Briefen an die Nationalspieler wurden zum Beispiel umfangreiche Werbeveranstaltungen in allen Bundesliga-Stadien und sogar Gewinnspiele durchgeführt, bei denen es argentinische Souvenirs wie Tango-Schallplatten oder einen Poncho zu gewinnen gab. Die Aktionen sollten trotz des ernsten politischen Hintergrundes immer mit der positiven Botschaft versehen werden, sich gemeinsam hinter der guten Sache zu vereinen.[20]
Gerade in Deutschland stießen diese in einem solchen Kontext noch sehr neuen Methoden zivilgesellschaftlichen und basisdemokratischen Engagements auf eine durchaus erfolgreiche Resonanz: Bis Turnierbeginn hatten gut 52.000 Menschen die Resolution von Amnesty unterschrieben, unter ihnen befanden sich neben vielen jungen Menschen zahlreiche Prominente wie u.a. der damalige Nationaltorwart Sepp Maier[21] oder der CDU-Politiker Norbert Blüm.[22]
Dies demonstriert, dass es der Bewegung mithilfe des Themas Fußball tatsächlich gelungen war, die Frage des Einsatzes für Menschenrechte aus dem bis dahin singulär dominierenden linksalternativen Submilieu herauszuholen und zumindest in Teilen der bürgerlichen Mitte der deutschen Gesellschaft zu verankern.
Auch viele deutsche Medien setzten sich im Vorfeld der WM nun umfangreich und kritisch mit den politischen Zuständen in Argentinien auseinander: Zu ihnen gehörten unter anderem die „Süddeutsche Zeitung“ und der „Stern“.[23] Auf europäischer Ebene tat sich vor allem „Le Monde“ vor, deren Journalisten zu Wortführern der gesamten internationalen Bewegung gegen die Spiele in Argentinien wurden.[24] In Frankreich unterschrieben nicht weniger als 150.000 Menschen die Protestresolution. Dies überstieg damit sogar die Auflage der L’Equipe, der größten Sporttageszeitung des Landes, die den Boykott selbst ablehnte.[25]
Natürlich gab es auch in Deutschland eine starke Gegenbewegung gegen die Aktionen von Amnesty. Sie wurde medial von den Zeitungen des Axel Springer Konzerns angeführt. So erhielt Präsident Videla persönlich noch kurz vor Turnierbeginn Platz für mehrere große Interviews in der „Bild am Sonntag“ (21.5.1978) und in der „Welt“ (19.5.1978), in denen er die Lage in seinem Land in blumigsten Farben ausmalen konnte und unter anderem erklärte: „In Argentinien gibt es keine politischen Gefangenen [und] keine Konzentrationslager“.[26]
Aber auch die sozialliberale Bundesregierung positionierte sich mehrfach eindeutig und entschieden gegen die Aktion. So betonte die Staatssekretärin im Außenministerium Hildegard Hamm-Brücher im Bundestag, die Regierung empfehle allen Spielern und Fans die Resolution von Amnesty nicht zu unterschreiben, da sie eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Argentiniens darstelle.[27] In Anbetracht zunehmender ökonomischer Schwierigkeiten im Umfeld der Ölkrise war es für die Bundesregierung hierbei offensichtlich auch von entscheidender Bedeutung, keinen weiteren Wirtschaftspartner zu verprellen. Tatsächlich steigerte sich die Import- und Exportbilanz der Bundesrepublik mit Argentinien in den Jahren der Militärregierung, u.a. durch die Ansiedlung erster Volkswagen-Werke, deutlich.[28]
Verhalten des Deutschen Fußball-Bundes
Wie reagierte nun der Deutsche Fußball-Bund auf diese Entwicklungen? Hierbei ist es zunächst wichtig zu betonen, dass die FIFA als Turnierorganisator die Machtübernahme der Generäle in Buenos Aires von Beginn an offensiv befürwortete. Präsident Joao Havelange aus Brasilien trat auch in vielen anderen Fällen als Sympathisant rechter Militärs auf und war mit einigen Militärs aus der Videla-Regierung persönlich befreundet.[29] Die DFB-Spitze um Präsident Hermann Neuberger war aufs Engste in diesen FIFA-Kosmos eingebunden: So fungierte Neuberger, zugleich Vizepräsident des Weltverbandes, auch als Chef des verbandseigenen Organisationskomitees in Argentinien.[30]
Eine solche Position hätte Neuberger zweifelsohne besondere Möglichkeiten der Einflussnahme auf das Militär gegeben. Der Saarländer entschied sich jedoch für das genaue Gegenteil: Nach anfänglicher vorsichtiger Tuchfühlung mit Amnesty International und ersten allgemeinen Statements, sich im Land unter gewissen Umständen auch für das Schicksal Inhaftierter einzusetzen, ruderte der DFB in seinen Statements massiv zurück und berief sich ausschließlich auf die Haltung der Bundesregierung.[31] Neben einem allgemeinen Einsatz für Menschenrechte „in allen Teilen in der Welt“ verwies der DFB von nun an immer nur noch darauf, dass er sich – wenn dazu man dazu aufgefordert würde – an stillen diplomatischen Maßnahmen der Bundesregierung in Argentinien beteiligen würde. Dabei hatte der Fall Käsemann ja frühzeitig bewiesen, dass mit einem solchen Einsatz eben keinesfalls zu rechnen war.
Öffentlicher Kritik gegenüber zeigte sich Neuberger extrem dünnhäutig: So setzte er mit wütenden persönlichen Eingaben beim Intendanten des Saarländischen Rundfunk durch, dass Pfarrer Helmut Frenz, der sich im Juni 1977 in einem Wort zum Sonntag gegen eine Durchführung der WM in Argentinien ausgesprochen hatte, wegen seiner „pseudochristlichen, einäugigen Heuchelei“ nie wieder in der Sendung auftreten durfte.[32] Ebenjener Frenz wurde später ausgerechnet erster Generalsekretär von Amnesty International Deutschland.
Die Zurückhaltung in politischen Fragen hielt den DFB freilich nicht davon ab, auch 1978 wiederum ein offizielles von der Mannschaft gesungenes WM-Lied zu veröffentlichen. Der Song „Buenos Dias, Argentina“ von Udo Jürgens – übrigens einer der erfolgreichsten Titel in der Karriere des Sängers überhaupt und mit einer Platinen Schallplatte ausgezeichnet – darf in dieser Betrachtung nicht fehlen, weil dieser Song trotz (oder gerade wegen) seiner absoluten Simplizität in der Beschreibung des Landes Argentinien die bis heute wohl nachhaltigste Erinnerung an die WM 1978 im kollektiven Gedächtnis vieler Deutscher ist: Textzeilen wie „Buenos Dias Argentina, wenn die rote Sonne glüht, rauscht von Ferne der La Plata und er singt mit mir ein Lied“ dominieren bis heute höchstwahrscheinlich stärker in den Köpfen vieler Bundesbürger das Argentinien-Bild dieser Jahre als die Diskussionen über die damaligen politischen Entwicklungen im Land.
Wie schon in den Jahrzehnten zuvor versteckte sich der Verband auch in diesen Monaten in seinen öffentlichen Verlautbarungen geradezu gebetsmühlenartig hinter seiner Selbsterzählung, nach der Politik und Sport schon immer streng getrennt gewesen seien und dies auch künftig unbedingt so beibehalten werden müsse. Hier argumentierte die DFB-Führung zweifelsohne auch aus Selbstschutz: Auch Ende der 1970er Jahre war der Verband immer noch durch starke personelle Kontinuitäten aus der NS-Zeit geprägt. In wohl keinem Gesellschaftsbereich hatte es eine so lückenhafte – oder besser gar keine – Entnazifizierung gegeben wie im deutschen Sport.[33]
Daneben ist aber auch ein anderer wichtiger Punkt noch wenig bis gar nicht beachtet worden: Neben seiner traditionell konservativ-reaktionären Ausrichtung besaß der DFB zu diesem Zeitpunkt schlicht auch noch nicht die Strukturen, um sich der gewaltigen medialen Flutwelle entgegenstellen zu können, wie sie im Vorfeld der WM 1978 – angetrieben durch die Amnesty-Kampagne – über ihn hereinbrach. Der DFB verfügte vor der großen Kommerzialisierung des Sports in seiner Zentrale in Frankfurt nur über einige wenige festangestellte Mitarbeiter und nicht einmal einen hauptamtlichen Pressesprecher.[34]
Nazi-Besuch im Teamquartier
Die daraus resultierenden massiven Fehler in der eigenen Kommunikation zeigten sich vor allem an einer weiteren Affäre, die den DFB bereits während des laufenden Turniers erreichte: Nach ihrem ersten Gruppenspiel wurde die Elf in ihrem Teamquartier vom früheren Luftwaffen-Oberst Hans-Ulrich Rudel besucht. Bei ihm handelte es sich nicht nur um einen hochdekorierten Militär des Zweiten Weltkriegs und ein Mitglied des „Freundeskreises Adolf Hitler“, sondern auch um einen strammen damaligen Nazi, der auch nach 1945 seiner Gesinnung treu geblieben war und unter anderem 1953 als Spitzenkandidat der rechtsradikalen Deutschen Reichspartei angetreten war. Er lebte nunmehr seit einigen Jahren in Argentinien und verkehrte dort in Kreisen alter Nationalsozialisten.[35]
Über die Umstände der Einladung Rudels in das eigentlich streng abgeschirmte Trainingsquartier – passenderweise ein Erholungsheim des argentinischen Militärs – wurde sofort sehr umfassend in den deutschen Medien berichtet, da dies erneut die schlimmsten Befürchtungen zu beweisen schien: Während der DFB auf der einen Seite jede Stellungnahme zur Lage der Menschenrechte in Argentinien verweigerte, wurde zugleich ein bekennender Nationalsozialist ins eigene Quartier eingeladen und auf Verbandskosten hofiert.
Tatsächlich deuten neuere Forschungen jedoch zumindest partiell in eine andere Richtung: Autor Bernd Beyer, der eine Biographie über den damaligen Bundestrainer Helmut Schön veröffentlichte, fand in den Archiven des Senders Freies Berlin unlängst einen bis dahin verschollenen TV-Mitschnitt Schöns, in dem dieser bereits kurz nach Turnierende recht glaubhaft seine Sicht der Dinge darstellte. Demnach hätte sich der ihm bis dahin weitgehend unbekannte Rudel vor Turnierbeginn brieflich um Eintrittskarten für die WM bemüht und dabei auf seine enge Freundschaft zum kurz zuvor verstorbenen ehemaligen Bundestrainer Sepp Herberger berufen. Während des Turniers habe sich Rudel dann aufgrund seiner besonderen Nähe zum argentinischen Militär quasi selbst Zugang zum deutschen Teamquartier verschafft und sei plötzlich, aber nur für wenige Minuten, am Rande eines Trainings aufgetaucht und habe einige wenige Worte mit ihm gewechselt.[36]
Bezeichnend für die höchst unprofessionelle Außendarstellung des DFB in diesen Tagen waren dann vor allem die Rechtfertigungsstrategien, mit denen die DFB-Führung den Besuch Rudels nachträglich rechtfertigen wollte: Bundestrainer Schön erklärte, dass Rudel „im Krieg doch Hervorragendes geleistet“ und „sicherlich vielen tausend deutschen Soldaten das Leben gerettet“ habe. Und Präsident Neuberger entrüstete sich, dass man Rudel hoffentlich nicht „seine Kampffliegertätigkeit während des Zweiten Weltkriegs vorwerfen“ wolle.[37]
Hier fehlte jegliche Sensibilität für die öffentliche Stimmungslage in immer größeren Teilen der deutschen Gesellschaft. Es ist dabei nicht als Entschuldigung oder Reinwaschung zu verstehen, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass sich in dieser für den Verband überaus peinlichen Affäre zugleich auch die rudimentären Organisations- und Kommunikationsstrukturen widerspiegeln, die für die gesamte Geschichte des DFB in diesen Jahren von essentieller Bedeutung sind.
Aus heutiger Sicht war diese Affäre ein weiterer Baustein, der zusätzliche Unruhe in das deutsche Team brachte – und damit zumindest auch ein Stück mitverantwortlich für das frühzeitige Aus des Titelverteidigers war. Eine peinliche 2:3-Niederlage gegen den Erzrivalen Österreich, die bis heute unter dem Schlagwort „Die Schmach von Cordoba“ bzw. „Das Wunder von Cordoba“ festen Einzug in die transnationale Fußballgeschichte gefunden hat, bedeutete das Ausscheiden bereits in der Zwischenrunde des Turniers.[38]Gastgeber Argentinien hingegen erreichte sein großes Ziel und setzte sich – wenn auch unter teilweise mysteriösen Umständen[39] – mit einem 3:1-Finalsieg gegen die Niederlande am 25. Juni 1978 erstmals die Krone des Weltmeisters auf.
Zusammenfassung
Aus Sicht des Militärregimes war die Weltmeisterschaft 1978 zweifelsohne zunächst ein Gewinn. Zum einen war das gesamte Turnier ohne jegliche Zwischenfälle geblieben und die Organisation vordergründig geglückt. Dass die beteiligten Spieler rückblickend von einer „Friedhofsstimmung“ in den argentinischen WM-Städten sprachen, war dabei zweitrangig.
Vor allem führte der WM-Sieg des argentinischen Teams im Land zu einer Phase unglaublicher nationaler Begeisterung. Historiker vermuten, dass die Tage nach dem Finalsieg wahrscheinlich die einzigen waren, in denen die Generäle jemals freie Wahlen in ihrem Land gewonnen hätten.[40]
Nichtsdestotrotz waren dies nur kurzzeitige Etappen: Bereits wenige Monate später dominierten wieder die Klagen über die immer schlechtere wirtschaftliche Lage im Land. Wir sehen damit, wie auch in anderen Fällen zu erkennen ist, dass die aus Sportereignissen resultierenden nationalen Gefühlsaufwallungen offensichtlich nur kurzfristig funktionieren und in ihrer historischen Wirkung keinesfalls überschätzt werden sollten.[41]
Obwohl die WM für die Militärjunta als Gewinn anzusehen war, lässt sich für die Gegenseite kurioserweise das gleiche Urteil fällen: Amnesty International und andere Organisationen erlebten durch die Proteste zur Weltmeisterschaft einen enormen Popularitätszuwachs, gerade in Deutschland. Sie lernten anhand des populären Themas Fußball, wie man erfolgreich öffentliche Protestkampagnen lancieren und zu mehr zivilgesellschaftlichem Engagement an der Basis der Gesellschaft appellieren konnte.
Auch das kurzzeitig spätere Aufkommen der Grünen Partei in Deutschland ist in diesen Kontext einzuordnen. Die WM 1978 ist in diesem Kontext damit weit über den rein sporthistorischen Rahmen hinaus als ein gesellschaftspolitischer Wendepunkt zu sehen, an dem erstmals nichtstaatliche Akteure mithilfe des „Türöffners“ Fußball breite Schichten der bundesdeutschen Gesellschaft für ihre zivilgesellschaftlichen und basisdemokratischen Aktionen gewinnen und konkret einbinden konnten.[42]
Erster großer Verlierer der damaligen Ereignisse war die Bundesregierung. Gefangen in ihrer Angst vor dem Terrorismus war sie zu diesem Zeitpunkt bereit, grundlegende Fragen der für sie eigentlich so wichtigen Rechtsstaatlichkeit über Bord zu werfen und nicht mehr zwischen linksstehenden Aktivisten und linksradikalen Terroristen zu unterscheiden. Dies lässt sich vornehmlich anhand der großen diplomatischen Zurückhaltung im Rahmen des Freundschaftsspiels der deutschen Nationalelf ein Jahr vor Turnierbeginn in Buenos Aires und dem fehlenden Bekenntnis für die inhaftierte Elisabeth Käsemann ablesen. Auch hier spiegelt sich damit in einem einzigen Fußballspiel wie unter einem Brennglas eine allgemeine und grundlegende Weichenstellung der deutschen Nachkriegsgeschichte wider.
Zweiter großer Verlierer dieser Tage war der DFB: Gefangen in ihren stark konservativ-reaktionären Weltbildern waren seine Entscheidungsträger zu diesem Zeitpunkt schlicht und einfach nicht fähig, die Rolle zu erfüllen, die ihnen nunmehr von zivilgesellschaftlichen Gruppen aufgetragen wurden. Hierfür besaß der DFB zu diesem Zeitpunkt weder den politischen Weitblick noch die dafür nötigen Organisations- und Kommunikationsstrukturen. Hier hat ausgerechnet die in anderer Hinsicht so vielfach gescholtene Kommerzialisierung des Fußballs im Laufe der vergangenen Jahrzehnte eine Professionalisierung der Verbandsstrukturen und damit eine Wende zum Besseren geschafft.
Blick in die Gegenwart
Wie können wir nun aus heutiger Sicht auf die damaligen Entwicklungen blicken? Was können wir von 1978 lernen und wie sollten wir heute mit Diktaturen umgehen, die den Fußball für ihre Zwecke ausnutzen wollen?
An dieser Stelle muss zunächst mit einem Blick auf die aktuellen Entwicklungen im Weltverband FIFA betont werden, dass wir uns heute in einer neuen und in dieser Form wahrscheinlich noch nie dagewesenen Hochphase der politischen Ausbeutung des Fußballs durch autoritäre Regime befinden. Die letzten beiden Weltmeisterschaften in Russland (2018) und Katar (2022) fanden beide in politisch überaus umstrittenen Gastgeberländern statt.
Die Methoden der Regime werden dabei immer perfider: Im sogenannten „Sportswashing“ wollen sich Diktaturen mithilfe des Fußballs durchaus trickreich ein neues, modernes Image geben und neue Märkte erschließen. An dieser Stelle kann dabei lediglich beispielhaft auf die jüngsten milliardenschweren Investitionen der Führung von Saudi-Arabien hingewiesen werden, mithilfe der Verpflichtung zahlreicher Fußball-Weltstars und der angestrebten Ausrichtung der WM im Jahr 2034 von den immensen Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land abzulenken und sich neue Wirtschafts- und Tourismusmärkte im Westen zu sichern.[43]
Es ist allerhöchste Zeit, die internationalen Sportverbände hierbei an ihr Gewissen, aber auch ganz simpel auf ihre eigenen Statuten hinzuweisen: So hat die FIFA im Jahr 2017 umfangreiche und in ihrer Textform durchaus progressive Menschenrechtsrichtlinien verabschiedet, deren Einhaltung seitdem auch – eigentlich – im Zuge der eingehenden WM-Bewerbungen nachgewiesen werden müssen.[44]
Hier sollten Verbände wie der DFB innerhalb des Weltverbandes viel umfassender auf die tatsächliche Kontrolle und Einhaltung dieser Statuten hinwirken und lautstark anprangern, warum solche Regularien in der Praxis weiterhin immer noch nicht hinreichend zur Anwendung kommen.
Neben der immer stärkeren Ausbeutung des Fußballs durch Diktaturen bzw. die Verbände selbst ist jedoch, wie bereits 1978 in zarten Anfängen erkennbar war, heute umso stärker die gegenteilige progressive Wirkung des Fußballs nachweisbar: Ganz anders als vor 45 Jahren hat sich der Fußball heute in Deutschland zu einem festen und wichtigen Player in zivilgesellschaftlichen Fragen entwickelt: Immer mehr Vereine lassen ihre Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus erforschen und initiieren eigene Projekte gegen Rechtsextremismus.[45] Hunderttausende Fans protestierten letztes Jahr in ihren Kurven kreativ und friedlich gegen die Durchführung der WM in Katar. Damit wurde ein öffentlicher Resonanzraum geschaffen, der erst den Druck auf die Führung in Katar aufbaute, die Arbeitsbedingungen für die Migranten tatsächlich zumindest vorübergehend zu verbessern.[46]
Dies sind nur einige Beispiele dafür, wie sich der Fußball mit seinen 7,3 Millionen Mitgliedern und aber Millionen Fans längst als wichtiger Akteur der Zivilgesellschaft etabliert hat, der damit wichtige Akzente für die ganze Gesellschaft setzen kann und hierbei vor allem solche Menschen erreicht, die ansonsten eher nicht sehr empfänglich für Themen der politischen und historischen Bildung sind. Der Fußball dient hier als emotionaler Türöffner, mit dem sich auch Menschen aus eher bildungsfernen Schichten wieder neu für politische und gesellschaftliche Themen gewinnen lassen.
Der organisierte Fußball gewinnt hierdurch eine besondere Verantwortung, der er sich trotz seiner zunehmenden Ökonomisierung, auch und gerade im Umgang mit diktatorischen Regimen, in Zukunft wieder deutlicher und unmissverständlicher stellen muss.
Dr. Henry Wahlig, geb. 1980 in London/Kanada, hat Neuere und Neueste Geschichte in Düsseldorf, Vancouver und Lausanne studiert. 2014 hat er mit einer Arbeit über die jüdische Sportbewegung in NS-Deutschland („Sport im Abseits“) bei Prof. Lorenz Peiffer an der Leibniz Universität Hannover / Zweitprüfer Prof. Moshe Zimmermann (Hebräische Universität Jerusalem) promoviert. Seit 2015 leitet er das Kultur- und Veranstaltungsprogramm im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund.
Anmerkungen
[1] Die vorliegenden Untersuchungen im deutschsprachigen Raum konzentrieren sich vor allem auf die Olympischen Spiele 1936 (u.a. zuletzt Oliver Hilmes: Berlin 1936. Sechszehn Tage im August. München 2016) und die Rolle sportlicher Wettkämpfe im Kalten Krieg (dazu u.a. aktuell Philippe Vonnard, Nicola Sbetti, Gregory Quin (Hg.): Beyond Boycotts. Sport during the Cold War in Europe. Berlin 2019). Zur Geschichte der WM 1978 sind nur einige wenige Aufsätze erschienen, die in diesem Aufsatz zitiert werden. Erst vor weniger als zehn Jahren erschien das erste und in dieser Form bis heute einzige Buch, das die Geschichte aller Weltmeisterschaften gezielt in ihren jeweiligen historisch-politischen Rahmen einordnet, vgl. Kai Rinke, Kay Schiller: The FIFA World Cup 1930-2010. Politics, Commerce, Spectacle and Identities. Göttingen 2014.
[2] Vgl. Orton: Football and National Identity, 211.
[3] Zur Geschichte Argentiniens in dieser Zeit, vgl. u.a. Michael Riekenberg: Kleine Geschichte Argentiniens. München 2009, 166-173 oder Sandra Carreras, Barbara Potthast: Eine kleine Geschichte Argentiniens. Berlin 2010, 206-217.
[4] Bis heute wird in der historischen Forschung fast durchgehend der Standpunkt vertreten, erst mit Beginn der Herrschaft von General Videla sei mit den systematischen Vorbereitungen für die WM begonnen worden. Hier zeigt eine an der Uni Zürich entstandene Seminararbeit eine neue Perspektive auf, deren Autor Zugang zu den Quellen im FIFA-Archiv hatte. Er verweist darauf, dass eine FIFA-Delegation, die Argentinien im Jahr 1976 zum Zeitpunkt des Machtwechsels besuchte, ausdrücklich den großen Fortschritt auf den WM-Baustellen lobte. DFB-Präsident Neuberger, zugleich Chef des FIFA-OKs, erklärte hiernach, dass „die Arbeiten in Deutschland im Jahre 1972, d.h. zwei Jahre vor der Endrunde, nicht weiter fortgeschritten gewesen seien“. Die Kritik der FIFA bezog sich somit ausschließlich auf die politischen Rahmenbedingungen und die daraus resultierenden Sicherheitsbedenken. Die Darstellung, dass die FIFA ein totales Chaos vorgefunden hätte, sei demnach erst später von den Militärs lanciert worden, um sich selbst alle Erfolge rund um die WM zuschreiben zu können. Vgl. Ricardo Cabanas: Reorganización del caos o caos de reorganización? Die Politisierung der WM`78 in Argentinien. Seminararbeit am Historischen Seminar der Universität Zürich 2019, 16f.
[5] Orton: Football and National Identitiy, 212.
[6] Vgl. Raanan Rein: Football, Politics and Protests. The International Campaign against the 1978 World Cup in Argentina. In: Rinke, Schiller: World Cup, 240-258, hier: 241f.
[7] Vgl. Bill L. Smith: The Argentinian Junta and the Press in the Run-Up tot he 1978 World Cup, in: Soccer and Society 2002, 69-78, hier: 69f.
[8] Vgl. Christian Koller: Vor 40 Jahren: Junta-Generäle werden Fußball-Weltmeister. URL: https://www.sozialarchiv.ch/2018/05/09/vor-40-jahren-junta-generaele-werden-fussball-weltmeister
[9] Vgl. Dorothee Weitbrecht: Die Fußball-Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien: ein Sündenfall, in: Zeitschrift für Menschenrechte 2/2016, 110-128, hier: 112.
[10] Zur umfassenden Pressezensur in Argentinien, die im Vorfeld der WM 1978 auf zahlreichen Wegen installiert wurde, vgl. Smith, Press.
[11] Vgl. u.a. Christian Dürr: „Verschwunden“. Verfolgung und Folter unter der argentinischen Militärdiktatur (1976–1983). Berlin 2016.
[12] Vgl. Felix Jimenez Botta: „Yes to Football! No to torture!“ The Politics of the 1978 Football World Cup in West Germany, in: Sport in Society 2017, 1440-1456, hier: 1443.
[13] Vgl. hierzu u.a. Petra Terhoeven: Die Rote Armee Fraktion. Eine Geschichte terroristischer Gewalt. Göttingen 2017.
[14] Die Lebensgeschichte Elisabeth Käsemann ist wiederholt aufgearbeitet worden. Für eine aktuelle zusammenfassende Darstellung, vgl. Elisabeth-Käsemann-Stiftung (Hrsg.): Verschwunden und ermordet. Europäische Opfer des geheimen Haft- und Folterlagers El Vesubio in Argentinien. Bochum 2023, 19-36.
[15] Der Dokumentarfilmer Eric Friedler drehte im Jahr 2014 im Auftrag von NDR und SWR den Fernsehfilm „Das Mädchen – Was geschah mit Elisabeth K.“. In diesem Zusammenhang befragte er erstmals hochrangige verantwortliche Politiker der damaligen Bundesregierung und befragte sie nach ihrer heutigen Einschätzung ihres damaligen Handelns. Zu seinen Gesprächspartnern zählten neben Gerhart Baum die beiden damaligen Staatssekretäre im Außenministerium Hildegard Hamm-Brücher und Klaus von Dohnanyi. Beide bereuten ausdrücklich ihr damaliges Schweigen. Der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher war weiterhin zu keiner Stellungnahme bereit.
[16] Vgl. Weitbrecht, Menschenrechte, 121.
[17] Vgl. Egon Larsen: Im Namen der Menschenrechte. Die Geschichte von Amnesty International. München 1983.
[18] Vgl. Botta, Sport in Society, 1443f.
[19] Inwieweit diese Forderungen von den internationalen Medien tatsächlich umgesetzt wurden, wäre eine eigene Untersuchung wert. Tatsächlich machten aber Aufnahmen eines niederländischen TV-Teams zu Beginn der WM 1978 von den verlassenen Müttern auf dem Plaza de Mayo diese Protestbewegung erst weltweit bekannt. Die Aufnahmen sind zu sehen unter URL: https://www.youtube.com/watch?v=5GfL-kSnrrY.
[20] Vgl. Botta, 1447.
[21] Sepp Maier blieb der einzige aktive Spieler aus dem WM-Kader, der sich offen mit der Amnesty-Aktion solidarisierte. Zu den Wortführern der Bewegung gehörte auch der Fußballprofi Paul Breitner, der jedoch wegen verschiedener anderer Streitigkeiten mit dem DFB zu diesem Zeitpunkt nicht der Nationalmannschaft angehörte.
[22] Vgl. Botta, 1448.
[23] Vgl. Antje Krüger: Die argentinische Diktatur im Spiegel der ost- und westdeutschen Presse, dargestellt an der Berichterstattung über die Fußballweltmeisterschaft 1978, Norderstedt 2011.
[24] Vgl. Amanda Gibson: Journalists‘ Dilemma: Human Rights Coverage During the Argentinian 1978 World Cup, in: Elon Journal of Undergraduate Research in Communications, 1/2021, 18-32.
[25] Vgl. Raan, 243-245.
[26] Zitiert nach: Weitbrecht, Menschenrechte, 113.
[27] Vgl. Botta, 1447.
[28] Andrés Musacchio: Die deutsch-argentinischen Wirtschaftsbeziehungen vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, in: Peter Birle (Hg.): Die Beziehungen zwischen Deutschland und Argentinien, 129-161.
[29] Vgl. Dietrich Schulze-Marmeling: WM 1978. Fußball ja, Folter nein, in: Dietrich Schulze-Marmeling: Die Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaft. Göttingen 2014, 241-260.
[30] Vgl. Martin Küper: Sport und Mord, in: DIE ZEIT 21/2012.
[31] Havemann versucht nachzuweisen, Neuberger habe zunächst offensiv angeboten, sich vor Ort für politische Gefangene einzusetzen und sei daraufhin erst vom Auswärtigen Amt zurückgepfiffen worden (Vgl. Nils Havemann: The Federal Republic of Germany and the 1978 Football World Cup in Argentina. Genesis and Deconstruction of a Public Myth, in: The International Journal of the History of Sport 2014, 1509-1518, hier: 1512). Bereits Botta hat aber deutlich nachgewiesen, dass eine solche Darstellung historisch nicht haltbar ist, vgl. Botta, 1447.
[32] Frank Junghähnel: Vier Minuten Gott, in: Berliner Zeitung, 28.05.2003.
[33] Die mangelnde Entnazifizierung im deutschen Sport ist bis heute nicht umfassend und zusammenhängend aufgearbeitet worden. Für eine aktuelle und sehr gute Analyse aus dem Bereich des Sportjournalismus, vgl. Thorben Pieper, Christopher Kirchberg, Marcel Schmeer: Wacklige Verteidigung? Die Entnazifizierung von Kicker-Journalisten nach dem Zweiten Weltkrieg. In: Lorenz Peiffer, Henry Wahlig (Hg.): „Einig. Furchtlos. Treu.“ Der Kicker im Nationalsozialismus. Eine Aufarbeitung. Göttingen 2022, 388-406.
[34] Der damalige Pressereferent Wilfried Gerhardt war zu diesem Zeitpunkt noch vornehmlich während der Turniere und nicht durchgehend hauptamtlich für den Verband tätig. Persönliche Information von Jean-Conrad Tyrichter, heutiger Archivar des Deutschen Fußball-Bundes.
[35] Vgl. Sönke Neitzel: Hans-Ulrich Rudel, in: NDB. Band 22. Berlin 2005, 160f.
[36] Vgl. Bernd M. Beyer: Helmut Schön. Eine Biografie. Göttingen 2018, 440-452. Havemann stellt die damaligen Ereignisse in einer völlig unnötig parteipolitisch eingefärbten Zuspitzung entgegen dieser Quellen so dar, die deutsche Presse hätte ausschließlich den „rechten“ Hermann Neuberger zum Schuldigen dieser Affäre gemacht, während der „linke“ Helmut Schön in Schutz genommen worden wäre. Vgl. Havemann 1978, 1514f.
[37] Vgl. Beyer, Schön.
[38] Der Sieg gegen die scheinbar übermächtige deutsche Elf besitzt vor allem in der Geschichte des kollektiven österreichischen Selbstwertgefühls bis heute eine überragende Bedeutung. Der damalige österreichische Stürmerstar Hans Krankl kommentierte sein Siegtor mit den Worten: „Hauptsache, wir haben die Deutschen besiegt. […] Das ist unser Weltmeistertitel!“. Zitiert nach: Michael Wassermair, Lukas Wieselberg: 20 Jahre Cordoba. Wien 1998, 173.
[39] Das entscheidende letzte Gruppenspiel gegen Peru gewann Argentinien überraschend hoch mit 6:0 und sicherte sich damit doch noch den Einzug ins Finalspiel. Heute gibt es das Bekenntnis eines damaligen peruanischen Nationalspielers, nach dem sechs seiner Mitspieler kurz vor Spielbeginn je 20.000 Dollar erhielten, um das Spiel hoch zu verlieren. Vgl. Tom Mustroph: Sechs Tore, sechs Mal Bestechung. Manipulation bei der Fußball WM 1978. In: taz, 17.03.2018.
[40] Ronny Blaschke: Buenos Dias Argentina. WM zwischen Triumph und Folter. URL: https://www.bpb.de/themen/europa/russland/270667/buenos-dias-argentina-wm-zwischen-triumph-und-folter
[41] Hier sei an die kontroversen Standpunkte in der historischen Forschung über die Bedeutung des WM-Erfolgs 1954 für die bundesdeutsche Gesellschaft in diesen Jahren erinnert. Tatsächlich gab es auch hier, gemessen am publizistischen Echo, nur eine sehr kurzzeitige öffentliche Begeisterung.
[42] Vgl. Botta, 1452.
[43] Maximilian Rieger: Die FIFA öffnet Saudi-Arabien die Tür. URL: https://www.deutschlandfunk.de/kommentar-wm-vergabe-fifa-oeffnet-saudi-arabien-tuer-100.html
[44] URL: https://www.fifa.com/de/about-fifa/organisation/news/fifa-veroffentlicht-neue-leitprinzipien-zu-menschenrechtsfragen-2893550
[45] Hier sind in den vergangenen Jahren zahllose Projekte durchgeführt worden. Für eine Übersicht aller daraus entstandenen historischen Veröffentlichungen vgl. Lorenz Peiffer, Henry Wahlig: Jüdischer Sport und Sport der Juden in Deutschland. 2. Auflage. Göttingen 2020.
[46] URL: https://www.amnesty.de/allgemein/pressemitteilung/katar-wm-2022-lueckenhafte-arbeitsrechtsreform-fehlende-entschaedigungszahlungen. Amnesty International verweist in seinen Stellungnahmen eindeutig darauf, dass der öffentliche Druck die Arbeitsbedingungen in Katar erheblich verbessert hätte, es jedoch immer noch deutliche Probleme gäbe und es offen ist, wie nachhaltig diese Prozesse auch nach Ende der WM fortgesetzt werden.
Der Autor
Dr. Henry Wahlig, geb. 1980 in London/Kanada, hat Neuere und Neueste Geschichte in Düsseldorf, Vancouver und Lausanne studiert. 2014 hat er mit einer Arbeit über die jüdische Sportbewegung in NS-Deutschland („Sport im Abseits“) bei Prof. Lorenz Peiffer an der Leibniz Universität Hannover / Zweitprüfer Prof. Moshe Zimmermann (Hebräische Universität Jerusalem) promoviert. Seit 2015 leitet er das Kultur- und Veranstaltungsprogramm im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund.
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